„Wer wird Millionär?“ begann zum Millennium. Nun gibt es die Sendung schon ein Vierteljahrhundert. Was macht den Erfolg aus? Die reinen Quizfragen sind es nicht, sagt Günther Jauch.
25 Jahre „Wer wird Millionär?“ sind an Günther Jauchs Moderatoren-Stuhl nicht spurlos vorübergegangen. Bei genauerem Hinsehen macht der Sitz einen ziemlich ramponierten Eindruck, so sind auf der Rückenlehne deutliche Spuren eines abgerissenen Klebebands zu erkennen. „Ich habe irgendwann gesehen, dass hier alles aufgerissen war, und dann habe ich verzweifelt versucht, das zu kleben“, erzählt der 68 Jahre alte Entertainer der Deutschen Presse-Agentur. Andere müssten in einer solchen Situation wohl befürchten, dass an ihrem Stuhl gesägt wird – aber „WWM“ ohne Jauch, nein, das wäre kaum vorstellbar. Am 17. Oktober feiert RTL den TV-Dauerbrenner mit einer großen Jubiläumsshow.
Der Anfang war wenig vielversprechend
Es klingt wie ein Mythos, aber anfangs waren tatsächlich nicht mehr als vier Sendungen geplant. Die erste Folge war von der Quote her betrachtet schlecht. „Die zweite war ganz schlecht“, erinnert sich Jauch. „Die dritte wieder sehr mäßig und die vierte richtig gut. Und daraufhin gab’s dann eben die Überlegung: Machen wir halt nochmal vier.“ Daraus wurden bis heute mehr als 1600 Ausgaben. Zeitweise lief die Sendung dreimal pro Woche – freitags, samstags und montags – und hatte einen Zuschauerschnitt von knapp zehn Millionen. Die beste Sendung lockte 14,2 Millionen Menschen vor den Bildschirm.
Solche Einschaltquoten sind Geschichte, doch „WWM“ läuft mit bis zu fünf Millionen Zuschauern immer noch sehr passabel. Zudem spricht die Sendung alle Altersklassen an. Da überrascht es, dass Jauch bis heute keinen schriftlichen Vertrag hat – und seit 23 Jahren auch keine Gehaltserhöhung mehr einstreichen konnte. Klagen von seiner Seite sind deswegen aber nicht zu hören: „Das Honorar ist mehr als auskömmlich.“
Die Sendung lässt sich nicht planen
Was ist nun das Besondere an der Sendung? Groß planbar ist sie nicht. „Ich bekomme vorher nur eine kleine Karte, da steht drauf: Wie heißen die Leute? Wie alt sind sie? Wo kommen sie her? Wo sind sie mal zur Schule gegangen? Wann haben sie geheiratet? Wer sind ihre drei Telefonjoker? Fertig. Mehr steht da im Grunde nicht drauf.“ Alles andere muss sich aus der Situation ergeben. Und damit nähert man sich auch schon dem eigentlichen Erfolgsgeheimnis der Sendung.
Ein Grund ist sicherlich, dass die Zuschauer zu Hause mitraten und so ihr Wissen testen können. Aber das allein hätte „WWM“ kaum durch ein Vierteljahrhundert getragen. Nein, das eigentlich Spannende ist, dass man immer wieder neue interessante Leute kennenlernt. Es sind die Kandidaten, die den Erfolg der Sendung ausmachen – gekoppelt an Jauchs Fähigkeit, sie vor laufender Kamera zum Reden zu bringen.
Das „Dummchen“ trumpft plötzlich auf
Manchmal wird der Kandidatenstuhl fast zur Psychologen-Couch. Es ist verblüffend, was mitunter selbst schüchterne Menschen von sich preisgeben. Jauch erklärt das mit der relativ intimen Atmosphäre im Studio, bei der sich im Wesentlichen zwei Menschen vor Bildschirmen konzentriert gegenübersitzen – das Publikum verschwindet in der Dunkelheit.
„Es gab hier zum Beispiel Leute, die in ihren Familien immer untergebuttert wurden, die immer das „Dummchen“ waren und dann plötzlich hier auftrumpfen und einen sechsstelligen Betrag abräumen“, schildert er. Für solche Kandidaten könne die Sendung geradezu eine Befreiung sein. „Bestes Beispiel ist unsere zweite Millionen-Gewinnerin Marlene Grabherr. Das war eine arbeitslose Hausfrau, bei der man merkte, dass das Leben es bis dahin nicht besonders gut mit ihr gemeint hatte. Das erzählte sie auch etwas stockend. Und wie die dann bei uns zur Heldin aufstieg, das war schon toll.“
Vom Kandidaten zum Bestseller-Autor
Ein anderer spektakulärer Fall ist Bastian Bielendorfer. Er erzählte in der Sendung, dass er ein Lehrerkind sei und ein Buch darüber geschrieben habe, wie schrecklich das sei – er könne aber keinen Verlag dafür finden. „Der war sehr witzig, hat dann auch seinen Vater, den Lehrer, als Telefonjoker angerufen – sehr lustiger Dialog. Daraufhin meldete sich dann ein Verlag bei ihm mit der Bitte, ihm das Manuskript mal zuzuschicken – er hatte aber keine einzige Zeile geschrieben. Da hat er sich dann 14 Tage eingeschlossen und Tag und Nacht dieses Buch geschrieben, damit die Lüge nicht auffliegt. Dann ist das ein Bestseller geworden – und heute tourt er mit seinem eigenen Comedy-Programm durch die Republik.“
Oder, noch ein Beispiel: Aaron Troschke, Verkäufer in einem Backshop in Berlin. „Den habe ich durch drei Sendungen geschleppt, so unterhaltsam war der. Ist dann bei uns raus mit 125.000 Euro und ist heute ein Social-Media-Star.“
Auch Günther Jauch weiß nicht immer die richtige Antwort
Manche Stammzuschauer der Sendung behaupten, sie könnten Günther Jauch sehr schnell anmerken, ob er einen Kandidaten möge oder nicht. Stimmt das? „Kann schon sein“, sagt er. „Ich bekenne mich auch dazu, dass ich mich nicht wahnsinnig verstelle in der Sendung. Manche Kandidaten können ja auch nervig sein.“ Oder wollten ihn unbedingt dazu bringen, ihnen einen Tipp zu geben. Dies „in völliger Ignoranz der Tatsache, dass ich ja gar nicht bei jeder Frage die richtige Antwort weiß. Und die Sendung heißt ja nicht „Betreutes Gewinnen“ – man muss da schon aus eigenem Antrieb etwas schaffen.“
Von daher gibt es immer auch mal wieder Sendungen, bei denen er denkt „okay, das war jetzt nicht das Highlight“. Aber dann ergeben sich wieder Gespräche, die ihm großen Spaß machen. „Man kann hier Klischeevorstellungen aufbrechen. Manchmal kommen Leute rein, da denkt man: Was ist das denn für ein Langweiler? Und dann bricht es plötzlich aus denen heraus. Wieder andere kommen mit großem Aplomb hier herein, breiten ihren Lebenslauf aus und haben dann nichts zu verkaufen. Insofern ist es so wie meine Schwiegermutter mal gesagt hat: Hier läuft Gottes großer Zoo auf, und der ist schon lustig anzusehen.“